Sie ist gestorben. Man könnte sagen, sie war hochbetagt, denn 91 Jahre sind viel für ein Menschenleben. Und dennoch: Für die Hinterbliebenen ist es immer zu früh. Dabei hat sich ihr Abschied schon länger angekündigt.
Nach und nach ließen die Kräfte nach, verschwand die starke Persönlichkeit von einst hinter den körperlichen Schwächen, die nun immer mehr Raum einnahmen und sie schließlich aus dem Leben holten. Sang- und klanglos wollte sie alles hinter sich lassen. Kein Aufsehen erregen, keine Reden schwingen. Leise gehen.
So stehen wir also da und schweigen. Was soll man auch sagen? Wie den Ehemann trösten, der über 65 Jahre mit ihr geteilt hat? Der sie bis zur letzten Stunde begleitet hat? Ein Menschenleben ist ein lebendiges Puzzle aus tausenden von Teilen, die das Ganze ergeben, und erst, wenn das letzte kleine Stück eingefügt wurde, dürfen wir gehen. Jede Erfahrung zählt, auch beim Sterben. Zurück bleibt ein Körper in dem alle Funktionen zum Stillstand gekommen sind. Eine Hülle, aus der sich der Geist verabschiedet hat.
Wie faszinierend war es doch zu Lebzeiten, als sich der Geist mit Hilfe des Körpers ausdrücken konnte, als er eine Seele in Erscheinung treten ließ, die ihr Leben und Wirken gestalten konnte! Der Körper ist nun tot und wird verschwinden. Der Geist hingegen ist frei und nicht mehr an ihn gebunden. Er braucht nun keine Gehirnwindungen mehr, um sich auszudrücken. Der Geist darf einfach sein. Er wirkt nun sehr subtil.
Vielleicht wirkt er in Erinnerungen der noch Lebenden? Vielleicht wird er zur Inspiration der Lebenden? Manchmal schleicht sich der Geist in die Träume seiner Liebsten. Auch steht er stärkend hinter ihnen, wenn diese ängstlich sind.
Gestorben ist nicht tot.
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